Coronabedingtes Betriebsverbot:
Entschädigung durch Versicherungen als Verwertungsgrundlage
für eigene Mietforderungen?
(ho)
Im Falle eines coronabedingt zur Pandemieabwehr staatlich erlassenen Betriebsverbots
(Lock Down) erzielt der Gewerberaummieter keine Umsätze, trägt
aber abgesehen davon weiter laufende Kosten. Nur das Schuldenmoratorium
in Art. 240 § 1 EGBGB konnte ihm durch ein zeitliches Leistungsverweigerungsrecht
einstweilen helfen. Die Folge von Umsatzeinbußen besteht in tiefgreifenden
Liquiditätsengpässen, wenn die Unternehmung nicht über
eine ausreichend stabile Eigenkapitaldecke verfügt. Auch wenn die
Mietforderungen trotz der Betriebsverbote im Grundsatz bestehen bleiben
und nur unter den Voraussetzungen eines vertraglichen Anpassungsanspruchs
wegen gestörter oder weggefallener Geschäftsgrundlage nach §
313 Abs. 1 BGB in der Höhe beeinflusst werden könnten, nützt
dies dem Vermieter zunächst einmal nichts. Denn - wie gesagt - es
fehlt eine Haftungsmasse beim Mieter, auf die er zur Befriedigung seiner
Mietforderungen zugreifen kann.
Interessant ist deshalb auch aus Sicht des Vermieters, ob es versicherungsrechtliche
Ansprüche des Mieters auf eine Geldentschädigung für Umsatzeinbußen
während staatlich verordneter Betriebsverbote geben kann. Wäre
dem so, dann könnte der Vermieter auf der Grundlage eines Zahlungsurteils
oder einer für vollstreckbar erklärten notariellen Urkunde in
diese Ansprüche vollstrecken. Dies geschieht durch einen Antrag auf
Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses, auf dessen
Grundlage die Versicherungsforderung des Mieters dann zur Befriedigung
der Mietforderung des Vermieters eingezogen und verwertet werden konnte
(§ 67 Absatz 1IfSG, §§ 828 ff, 850 ff ZPO.
Allerdings fangen die gängigen Versicherungen die aus staatlichen
Betriebsverboten folgenden Umsatz- und Ertragseinbußen nicht ab.
So bietet die Sach- und Ertragsausfallversicherung nur dann Deckung, wenn
Grund für die Betriebsunterbrechung ein vorausgegangener Sachschaden
ist. Wird der Betrieb mit oder ohne behördliche Anordnung wegen der
Coronagefahr geschlossen, so liegt mangels vorher eingetretenen Sachschadens
kein Versicherungsfall vor; eine Deckung unterbleibt.
Die Betriebsschließungsversicherung deckt zwar entgangene Gewinne
und fortlaufende Kosten sowie Sachschäden bei behördlich angeordneten
Betriebsschließungen wegen aufgetretenen meldepflichtigen Krankheiten
oder Krankheitserreger nach dem Infektionsschutzgesetz als Spezialmaterie
des besonderen Gefahrenvorsorge- und Gefahrenabwehrrechts (dazu näher:
Rixen, Coronavirus - Hoheitliche Maßnahmen, NJW-aktuell Heft 12/2020,
S. 14); die Versicherungspolicen definieren aber Krankheiten und Krankheitserreger
zur Risikoeingrenzung genau. Eine Deckung aufgrund des neuartigen und
bisher nicht bekannten Coronavirus lässt sich deshalb ebenfalls nicht
erzielen. So stellt die wohl herrschende Ansicht in Literatur und Rechtsprechung
in rein formaler Betrachtung auf die Formulierung des Deckungsumfangs
ab, in den „covid-19“ - weil bislang unbekannt - nicht aufgenommen
worden ist. Mit diesem Argument wird bei Betriebsschließungen kein
Versicherungsschutz eingeräumt OLG Dresden, Urteil vom 13.7.2021
- 4 U 373/21, juris (OLG Hamm, Beschluss vom 15.7.2020 - 20 W 21/20, BeckRS
2020, 17526; LG Siegen, Urteil vom 29. 6. 2021 - 1 O 331/20, juris; LG
Bochum, Urteil vom 15.7.2020 - 4 O 215/20 r + s2 1020, 503; LG Essen,
Beschluss vom 16.6.2020 - 18 O 150/20, r + s 2020, 506; dazu auch: Schaltke,
Corona-Fälle aus der Rechtsschutzpraxis, NJW 2020, 2758 ff; zum Komplex
von Entschädigungsansprüchen gegen den Staat und gegen Versicherer
insgesamt: Eusani, Staatshaftungsrechtliche Ansprüche des Gewerbetreibenden
bei covid-19-bedingten Ertragsausfällen, MDR 2020, 962 ff; Eusani,
Miet- und versicherungsrechtliche Ansprüche des Gewerbetreibenden
bei covid-19-bedingten Ertragsausfällen, - MDR 2020, 889, 892 ff).
Nur die Landgerichte Mannheim und München vertreten die Auffassung,
grundsätzlich könne eine Versicherungspolice Pandemie umfassend
auszulegen sein und auch faktische Betriebsschließungen erfassen
(LG Mannheim, Urteil vom 29.4.2020 - 11 O 66/20, COVuR 2020, 195; LG München
I, Urteil vom 24.1.2022 - 14 HK O 11212/20, juris). Die in diesem Verfahren
begehrte einstweilige Verfügung auf Leistung wurde allerdings deshalb
nicht erlassen, weil die Verfügungsklägerin nicht dargetan hatte,
sich in einer existenziellen Notlage zu befinden, die die erstrebte Zahlung
so dringlich macht, dass ein Zuwarten nicht bis zum Erlass eines vollstreckbaren
Urteils im Hauptsacheverfahren möglich sei.
© Dr. Hans Reinold Horst
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